Tick-Tick

Liebe Katharina,

in manchen Phasen meines Lebens bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich nur ein bisschen einen an der Schüssel habe oder doch eher zu der Kategorie „komplett wahnsinnig“ zähle. Wo hören schrullige Ticks auf und wo beginnen die harten Zwangsneurosen? Und wird das alles schlimmer mit zunehmendem Alter?

Ich werde bekloppt, wenn jemand anderes meine Wäsche aufhängt. Wie kann man nur Socken nicht paarweise auf den Ständer hängen? Einsam und verloren und am Ende gar noch zerknüllt?! Ich bekomme lautstarke Wutanfälle wenn das WLAN mal nicht einwandfrei funktioniert oder eine Seite länger als zwei Sekunden zum Laden braucht. Ich tanze regelmäßig wild für mich alleine in der Wohnung zu SEHR lauter Musik. Was im vierten Stock in der alten Wohnung vielleicht noch nicht ganz so verstörend für die Nachbarschaft war, jetzt aber, im ersten Stock mit Fenstern zur belebten Straße, eventuell auf manch einen befremdlich wirkt. Meine Hände führen ein Eigenleben, wenn ich etwas erzähle, ich gestikuliere völlig unkontrolliert. Ich hasse es, wenn die Dinge nicht ihren festen Platz in der Wohnung haben. Zauberer machen mich wütend. Wenn ich mich erschrecke (und das tue ich oft) gebe ich uncoole Schreckenslaute von mir. Ich bin sehr tollpatschig und habe deswegen immer blaue Schienbeine und Knie, als würde ich heimlich Rugby spielen. Wenn ich mich in ein Café setze, brauche ich meist mehrere Anläufe, bis ich den vermeintlich besten Platz habe. Nur Menschen, die ich gut kenne und mag, sollten mir ungefragt ins Gesicht fassen. Ansonsten will ich Ohrfeigen verteilen. Ich rede zuviel. Wenn ich tippe, hört es sich an, wie ein wütendes Stakkato, aber ich bin nicht in der Lage, meinen Tasten-Anschlag weniger energisch zu gestalten. Ich gestehe: Ich könnte noch eine Weile so weiter machen, es gibt da noch mehr…

Aber ich bin nicht alleine, auch in meinem Umfeld sammelt sich das fröhliche Freak-Wesen: Einer meiner besten Freunde offenbarte mir erst vor kurzem, dass er wichtige Mails am liebsten nur zu Schnapszahl-Uhrzeiten versendet und dass er bei der Wahl zwischen zwei Treppenaufgängen IMMER den linken wählen muss. Eine Freundin checkt mehrfach, ob der Herd wirklich aus ist, wenn sie die Wohnung verlässt. Der Klassiker sozusagen. Besonders gut fand ich den leichten Zwang eines anderen Freundes, der beim Fahren auf der Autobahn (Gott Lob nur als Beifahrer!) die Zehen anspannt, wenn er die Leitpfosten links oder rechts passiert. Schön im Takt! Oder eine andere Freundin, die völlig zwanghaft immer alle Info-Broschüren mitnehmen muss, die irgendwo ausliegen. Wer weiß?! Vielleicht kommt man in diesem Leben nochmal in den Spessart und möchte sich dort die Seidenmalerei Ausstellung ansehen?! Zumindest kenne ICH jemanden, der mit großer Wahrscheinlichkeit eine Broschüre mit den Öffnungszeiten dazu zur Hand hat. So viel herrlicher Wahnsinn!

Ich frage mich allerdings, ob wirklich alle Menschen so bekloppt sind, oder ich mir nur genau die aussuche, die in mein Panoptikum der schrägen Eigenarten passen?! Ein Elfenbeinturm der Verrücktheit, quasi… Aber irgendwie machen diese Schrullen die Menschen doch auch aus. Erst wenn man die schrägen Eigenheiten des Anderen erkannt hat, kennt man sich wirklich, oder? Und wenn man sich dann noch liebt und erträgt, hat man gute Chancen den Weg zusammen zu gehen, ob als Freunde oder Partner.

In diesem Sinne: Mehr Toleranz für Eigenarten, mehr Liebe für Freaks, Ticks ahoi. Lasst los!

Ich denk´an Dich und umarme Dich,

Meike

 

 

Leave A Comment

Your email address will not be published.