Mein Begleiter

Liebe Meike,

1,5 Jahre ist es nun her. Und oft habe ich in den letzten Monaten mit mir gehadert, ob ich dieses Thema hier angehen soll. Aber es ist in mir. Mein stetiger Begleiter. Wohl für immer.

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Wie viele innere Dialoge führe ich mit dir, Papa. Stelle dir Fragen, auf die ich keine Antwort finde. Suche dich in vergangenen Briefen und Erzählungen. Höre mir Aufnahmen an, aus Angst deine Stimme zu vergessen. Vermisse dich als mein Berater, mein größter Kritiker – unsere regelmäßigen Telefonate, Auseinandersetzungen, Diskussionen über das Weltgeschehen, die Kunst, deine Arbeit, meine Arbeit. Und oft frage ich mich, was du zu meinen Entscheidungen sagen würdest.

Und dann sind da diese Momente, die ich so unglaublich gerne mit dir teilen würde. Bin glücklich und im nächsten Moment tief traurig, dass du nicht dabei bist. Ist es wahr, kannst du es trotzdem sehen? Bist du da irgendwo? Manchmal bilde ich mir ein dich zu spüren. Wundere mich, warum gerade jetzt ein Vogel am Fenster vorbei fliegt. Und dann schüttle ich mich, rufe mich zur Besinnung. Kehre zum Tagesgeschehen zurück.

Es gibt Tage, an denen ich nicht an dich denke. Fällt es mir auf, erschrecke ich mich. Habe Angst davor loszulassen. Weiter zu machen. Geschehenes zu vergessen.

Und manchmal bin ich so wütend auf dich. Du hast mich mit so vielen Dingen zurück gelassen. Dinge, die ich für dich lösen musste. Andere, die ich nicht lösen kann. Fragen, die ich nie beantworten kann.

Herausforderungen, bei denen ich dich sonst im Rücken wusste, muss ich nun alleine, oder mit jemand anderen, meistern. Deine Nummer ist trotzdem noch in meinem Handy gespeichert. Werde ich es schaffen, sie irgendwann zu löschen? Sollte ich sie löschen? Neulich habe ich sie gewählt, und bevor es tuten konnte, wieder aufgelegt.

Innerlich zucke ich zusammen, wenn mein Arzt mir rät, meine Eltern zu ihrer Krankengeschichte zu befragen. Ich kann dich nicht mehr fragen, aber ich schaffe es mittlerweile den Rat mit einem Lächeln zu beantworten.

Dankbar bin ich dafür, dass wir eine Zeit des Abschiedes hatten. Ich sehe dich immer noch neben mir im Krankenbett liegen. Mir zu zwinkern. Ich spüre noch die Wärme deiner Hand. Unser vereintes Schweigen. Ich sehe deinen Schmerz im Gesicht und deine Scham, dich mir so zeigen zu müssen. Und doch hast du bis zum Schluss immer wieder Momente der Stärke bewiesen.

Oft denke ich an unseren Zoobesuch in Berlin während deinen chemofreien Tagen. Das war ein wundervoller Tag. Stundenlang haben wir vor den Aquarien gesessen. Und einfach mal Krankheit, Krankheit sein lassen.

Mein Schmerz des Verlustes wird nicht weniger. Noch nicht. Zu tief sitzt das Geschehene. Aber ich arbeite daran. Versprochen.

„Katharina, ich war zufrieden mit meinem Leben und nur das zählt.“ Diese Aussage von dir versöhnt mich mit deinem Tod. Lässt mich akzeptieren. Aber noch lange nicht begreifen.

Was ich dir nie gesagt habe – ich bin stolz darauf deine Tochter zu sein.

Ich liebe dich.

 

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