Ein Leben oder tausende.

Meine liebe Katharina,

das Schöne am Reisen ist doch unter anderem immer der Müßiggang.

In Wilderness bestaune ich gerade die traumhafte Meeres-Kulisse im Oceans Wilderness Hotel. Es ist den zweiten Tag bewölkt und sogar etwas regnerisch. Aber das macht gar nicht wirklich was. Noch mehr Ruhe… Vor allem gieriges, ungebremstes Lesen gehört zu meinen aller größten Vergnügen. Herrlich ist das! Ohne, dass etwas dazwischen kommt, ohne Störung und ohne Unterbrechung einfach fünf Stunden am Stück Bücher verschlingen und zwischendurch den Blick über die Brandung oder die ziehenden Wolken schweifen lassen. Irgendwann schläfrig werden, weil sich all die Geschichten, Gedanken und Ideen im Kopf zu neuen Wesen formatieren, die einen langsam  niederringen…

Und wenn es nicht das Lesen ist, dann das Beobachten anderer Menschen. Das kann ganz wunderbar sein oder ganz schrecklich. Je nach dem, was man so sieht.

Die deutsche Familie, die neben einem im Restaurant sitzt. Zwei offensichtlich leicht degenerierte Kinder im Teenager-Alter, die nicht mal mehr den Versuch starten, miteinander oder gar mit den Eltern zu kommunizieren. Lieber permanent den Kopf tief über das Tablet gebeugt, irgendwas abballern. Aber wenn man dann den Eltern zuhört, kann man sie verstehen, in ihrer Stumpfheit. Die nämlich mit hochroten Sonnenbrand-Köpfen darüber schwadronieren, dass man in Namibia unbedingt jagen gehen muss und was die da wohl machen, damit man auch echt was abknallen kann. Wahrscheinlich wohl wissend, dass man einfach so ein veblödetes Stück Mensch ist, dass man selbst diesen ungleichen und perversen Pseudo-Kampf zwischen Tier und Mensch, nur verkacken kann.

Oder aber die beiden wunderbaren Holländerinnen über 50, die das Restaurant Olive Tree in Knysna führen. Mit signalroten Lippen, grauen Haaren und klarem Blick, beide die Präsenz einer Grande Dame. Stolz und wach. Ich war mal wieder schockverliebt…Katha, wenn wir mal in diesem Alter sind, betreiben wir vielleicht auch zusammen ein Restaurant?! Wie herrlich das wäre. Und dazu immer ein gut gefüllter Weinkeller 🙂

Und manchmal sind es auch nur kleine Blicke der Solidarität, die sofort gute Laune machen. Wenn zwei Frauen sich ansehen und sich grundlos ehrlich und offen anlächeln. Und man signalisiert sich ohne Worte „Hey Schwester, wir sind beide hier und verstehen uns. I´ve got your back.“. Schön ist das.

Manchmal werde ich ganz kirre von all diesen unterschiedlichen Leben vor meinen Augen. Und ich möchte alle einmal streifen. In so viele mal kurz reinschlüpfen. Einmal die Kellnerin des Kloof-Street-Houses sein, die so schön mit ihrer Kollegin lacht und so unbedarft jung und frei erscheint. Einmal die Mutter von den zwei blonden Schweden-Jungs, die barfuß durch das Café rennen. Einmal die Shop-Verkäuferin mit den tollen Augen. Und dann der Sicherheitstyp, der jeden Morgen so freundlich lacht, wenn man ihn grüßt. Wie frühstückt der? Hat er eine sehr nette Frau, die er über alles liebt? Zu wem geht die Bedienung später heim, die so abwesend wirkt? Hat sie Stress mit ihrem Freund? Mit ihrer Freundin? So viele Leben berühren einen jeden Tag und manchmal wird mir ganz schwindelig davon, dass ich so wenige nur erfassen kann. Selbst nur dieses Eine habe. Nicht alles einmal selbst erleben und ausprobieren kann.

Je älter man wird, desto mehr Entscheidungen muss man treffen, die wiederum tausend andere Wege ausschließen. Und vielleicht ist es auch genau das, was unser Leben ausmacht. Die beschissene Endlichkeit. Wären wir zu Ewigkeit verdammt, wäre alles egal, was wir tun. Wie in „Alle Menschen sind sterblich“, von Simone De Beauvoir, wo der Held unter seiner Unsterblichkeit leidet, weil alles um ihn herum vergeht, außer er selbst. Könnte ich auch mal wieder lesen… mit Blick auf den Sonnenuntergang und dem Wissen, dass nichts bleibt. Und wir nichts wissen. Eintagsfliegen im Universum.

In diesem Sinne: Alles wird trotzdem gut!

Deine Meike

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