Hamburg und ein Gefühl.
Liebe Meike,
da sitze ich im Zug auf dem Weg nach Hamburg und frage mich, ob du wohl deine Studie zur Zeitrechnung der Kölner Verkehrsbetriebe auf die Deutsche Bahn erweitern könntest. Nicht nur, dass mir die Verspätungen in meinem Pendlerdasein zwischen Düsseldorf und Köln regelmäßig Freude bereiten, auf längeren Zugfahrten ist es erstaunlich, welche Zeitangaben da zu Stande kommen.
Aber während ich einfahre über die Elbe, vorbei an der Speicherstadt und dem Haus der Photographie, beschleicht mich ein Gefühl. Ein Gefühl, das mich immer auf dieser Strecke begleitet. Egal, in welcher Konstellation und aus welchem Grund ich in diese Stadt einkehre. Mich verbindet etwas mit dieser Stadt. Obwohl ich hier nur meine ersten Lebensjahre verbracht habe, aber hier schloss ich meine ersten Freundschaften, habe Fahrradfahren gelernt und die Sommer an den Stränden der Elbe verbracht.
Es sind Gerüche, Bilder, Straßenszenen, die mich während meines Aufenthalts in Hamburg oft in meine Kindheit zurück versetzten. Mit meinem Kaffee in der Hand sitze ich in der „Strandperle“ in der Sonne und sehe mich, das kleine Mädchen in Badehose. In wilder Diskussion mit meiner Mutter, dass man durchaus, trotz Glasscherben, barfuß durch den Sand laufen könnte.
Damals gab es nur die „Strandperle“. Mittlerweile gibt es nebenan das „Ahoi“. Ein nettes Café, dass auch neben der obligatorischen Bockwurst im Brötchen, Suppen und diverse Snacks anbietet. Obwohl dieser Platz längst kein Geheimtipp mehr ist, bin ich trotzdem gerne hier. Der Blick auf die Elbe mit den Ausläufern des Hafens ist atemberaubend schön – vor allen Dingen abends.
Ich frage mich, ob einem solche Orte als besonders schön erscheinen, wenn man mit ihnen tolle Erfahrungen verbindet. Und was bedeutet eigentlich Heimat? Ist Heimat der Ort, an dem man geboren wurde? Oder der, an dem man aufgewachsen ist? Für viele ist es der Ort, an dem das Haus mit dem damaligen Jugendzimmer steht. In das Zimmer, in das man sich noch heute mit dramatischen Liebeskummer verkriechen kann. In dem es immer noch so riecht wie damals und die Kassetten-, bzw. CD-Sammlung, noch wahre Schätze verbergen. Ein Ort, der Schutz und Geborgenheit suggeriert und an dem es nur das einzig wahre „Mama-Essen“ gibt.
Da meine Familie einen Hang zum Umziehen hat, gibt es so einen Ort für mich nicht. Aber trotzdem ist da dieses Gefühl. Das Gefühl, dass mir nur in dieser Stadt begegnet.
Durchkreuze ich die Straßen rund ums Schulterblatt, über den Flohmarkt (samstags) an der Feldstraße hinüber in das Karoviertel, dann bin ich glücklich. Das mag nicht nur an den ganzen Boutiquen liegen, die zu Shoppingausbrüchen (wie du selber weißt) führen, sondern es sind die Streifzüge, die ich bereits als Teenager vorgenommen habe. Mein damaliger Hang zu Secondhand-Klamotten ließ sich hier hervorragend ausleben. Das Karoviertel war damals, und ist es auch noch heute (sofern sich das bei den ganzen Hipstern noch halten lässt) ein alternatives Viertel mit diversen Plattenläden und Kneipen.
Ich habe übrigens einen tollen Fischimbiss entdeckt. Vom Fischbrötchen bis hin zu ganzen Gerichten mit leckeren Dips lässt sich im „Karofisch“ ein guter Mittagssnack einnehmen.
Nun gut, meine Liebe zu Secondhand-Klamotten hält sich mittlerweile in Grenzen, und auch das Risiko von Glasscherben in meinem Fuß möchte ich heute nicht mehr eingehen. Aber trotzdem durchlebe ich diese Erinnerungen nach wie vor gerne. Ich freue mich mit jedem Besuch in Hamburg auf genau dieses Gefühl. Das Gefühl der Heimat. Hamburg – mein Jugendzimmer.